Galeriebrief 1/2004

24. Februar bis 15. Mai 2004

SOL LEWITT (1928* Hartford, Connecticut, USA)
Wall Drawing – Structure – Gouaches
In den «Sentences on Conceptual Art» von 1969 formulierte Sol LeWitt in analytisch-pragmatischer Art und in fünfunddreissig Sätzen seine Sicht der Dinge. Es handelt sich keineswegs um Vorschriften, vielmehr übermitteln uns diese klugen Einsichten minimale Bedingungen für maximale Ergebnisse. Ebenso entwerfen sie ein neues Künstlerbild, das durchaus als Anleitung zur Selbstreinigung verstanden werden kann. Diese Sätze sind in hohem Masse dazu geeignet, alle Missverständnisse in Bezug auf sein Werk, aber auch in Bezug auf das Werk vieler wichtiger Künstler jener historischen Jahre auszuräumen. Um dem sozio-kulturellen Bereich Kunst eine Überlebensmöglichkeit in Anstand und vitaler Relevanz zu öffnen, war eine Veränderung der Regeln, so es welche gab, notwendig. Dass dies fast zu gut gelungen ist bezeugt die Tatsache, dass Avantgarde und Regelverstoss heute gesellschaftlich institutionalisiert sind. Jedenfalls wäre ohne die Leistungen einer durchaus überblickbaren Anzahl von Künstlern der sechziger und siebziger Jahre die aktuelle Kunstszene nicht denkbar.

Sol LeWitt repräsentiert die besten Eigenschaften seiner Generation: Grosszügigkeit, Toleranz, Offenheit und ein ungezügeltes Interesse an einem produktiven Weiterbestehen des Systems Kunst. Es soll der Person des Künstlers keineswegs unziemlich nahegetreten werden. Eine persönliche Biografie, die Herkunft und Ausdruck seiner Formulierungen aus psychologischer Perspektive klären könnte, ist hier nicht von Interesse. Ebenso wenig kann dem Werk eine Entwicklungsgeschichte unterstellt werden, die parallel zum gelebten Leben des Autors verlaufen würde. Das Werk kann adäquat nur als das Ergebnis einer ihm immanenten Genealogie beschrieben werden. In der Tat ist ja im Laufe von gut fünfundvierzig Jahren ein gewaltiges Oeuvre entstanden, dessen Folgerichtigkeit darin besteht, alle linearen Vermutungen und Erwartungen produktiv zu hintergehen. Selbstverständlich ist dies ohne die Erfindung höchst tauglicher Gerätschaften nicht möglich. Innovations- und Transformationspotenzial geniessen in Zeiten des Umbruchs und der Veränderung unbestrittene Priorität. Zwischen 1958 und 1961 thematisiert Sol LeWitt die Kunstgeschichte und die Kunstkategorien. Er erprobt die Tauglichkeit von Figur, Zeichen und Wort für Bildobjekte und Objektbilder. Auffällig sind einige pointierte Fotoarbeiten. LeWitt hat die Fotografie zeitlebens mit unkorrumpierter Direktheit immer wieder als Nebengeleise benützt.

Ab 1962 entstehen Objekte unter Verwendung eines reduzierten, einfachen Formenvokabulars und in monochromer Farbigkeit. Mit den «Black & White Open Cubes» ab 1965 und den «Serial Structures» ab 1967 wird eine Form dreidimensionaler Objekte initiiert, die in den «Incomplete Open Cubes», 1974, kulminiert und bis heute zu neuen und überraschenden Ergebnissen führt.

Die für die Kunst der letzten fünfunddreissig Jahre wichtigste und fruchtbarste Erfindung ist eine, in der Zwischenzeit selbstverständliche, Möglichkeit künstlerischen Auftretens: die Wandzeichnung (Wall Drawing). 1968 gelangte sie zum ersten Mal zur Anwendung, und in zwei Texten von 1970 (Arts Magazine) und 1971 (Art Now) entwarf Sol LeWitt eine Art Gebrauchsanweisung, die auch heute noch Vorbildcharakter hat.

In exemplarischer Formfülle, Farbigkeit und Orchestrierung hat der Werkkomplex der Wall Drawings den Museums- und Galerienkontext gesprengt. Trotzdem ist die Arbeit von Sol LeWitt innerhalb der Kunstgeschichte und eines mentalen Kunstraumes zu verorten.

Im Studio beschäftigt sich der Künstler ausschliesslich mit Arbeiten auf Papier. Hier gibt es weder Assistenten noch Produzenten. Kein anderer Künstler seiner Generation hat ein vergleichbares grafisches Oeuvre vorzuweisen.

Unsere Ausstellung ist die elfte Ausstellung des Künstlers in unseren Räumen seit 1975.