Glen Rubsamen

Pigeon Key and the Seven Mile Bridge
Ausstellung in der Annemarie Verna Galerie und der Galerie Mai 36, Zürich
 

21. Januar bis 11. März 2006 GLEN RUBSAMEN Pigeon Key and The Seven Mile Bridge.
1999 unternahmen es die Galerien Mai 36 und Annemarie Verna gemeinsam, in ihren Räumlichkeiten acht Künstlerinnen und Künstler vorzustellen, die mit ihrer Arbeit eine Idee der Vielfalt und Internationalität der aktuellen Kunstszene vermittelten.
 
Glen Rubsamen, 1959 in den USA geboren, trat so in unser Gesichtsfeld. Das weiterhin gemeinsame Interesse an diesem Werk führte zu einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Künstler. In vielen Gruppenausstellungen wurden die unübersehbaren und einprägsamen Bilder dieses differenzierten und intelligenten Malers immer wieder gezeigt. Im Jahr 2003 fand eine Einzelpräsentation in der Galerie Mai 36 grosse Beachtung.
 
Gute und vorab künstlerische Gründe haben uns dazu bewogen, in den nächsten Wochen eine grosse thematische Schau an der Neptunstrasse und an der Rämistrasse einzurichten. Mit Enthusiasmus und Intensität hat Glen Rubsamen diesen Werkzyklus erarbeitet, der an der Neptunstrasse zudem mit dem merkwürdigen und ungewöhnlichen Charakter der Galerieräume zu tun hat.

 

'Pigeon Key and The Seven Mile Bridge' ist der Titel dieser Ausstellung. Er verweist auf eine kleine Insel und eine lange Strassenbrücke in Florida. Hinter allem schönen Schein der Bilder findet sich anspielungsreich eine fein verwobene Deutungs- und Interpretationsebene, gleichsam ein verborgener Kommentar.
 
Den beiden Galeriestandorten und Räumlichkeiten gemäss ist die Ausstellung in zwei Kapitel aufgegliedert, die sich deutlich voneinander unterscheiden und die die zwei Hälften eines grösseren Ganzen bilden.
 
Beachten Sie auch den Text von Glen Rubsamen zu Pigeon Key and the Seven Mile Bridge.
 
Wir freuen uns, eine neue Publikation zum Werk von Glen Rubsamen in beiden Galerien vorstellen zu können:
Glen Rubsamen, Those Useless Trees
2005, englisch, 136 Seiten, 103 Abbildungen in Farbe, 24 x 24 cm, gebunden mit Schutzumschlag

 

Gianfranco Verna

Pigeon Key and the Seven Mile Bridge

Text von Glen Rubsamen zur Ausstellung
in der Annemarie Verna Galerie und der Galerie Mai 36, Zürich
 
"Die Aufhebung der Örtlichkeit ist auch das Ende des Reisens, die letzte Pose des Reisenden."
 
Die Bilder und Zeichnungen in dieser Doppelausstellung sind Darstellungen einer kleinen Insel, einer von hunderten einer Inselgruppe, die 'Florida Keys' genannt wird. Alle Inseln sind durch ein System von Brücken und Dämmen miteinander verbunden. Die längste und höchste dieser Brücken verbindet Vaca Key mit Spanish Harbor Keys. Sie ist sieben Meilen lang und führt an der kleinen Insel Pigeon Key vorbei, ohne mit dieser verbunden zu sein. Pigeon Key ist ein Nicht-Ort, ein Zwischenraum, entstanden aus einer Verbindung bestimmter Zwecke – Transport, Transit, Handel und Vergnügen. Fast scheint es, als ob dieser Ort nur in Erzählungen, in Worten existieren würde. Eine banale Utopie. In gewisser Weise bewohnen wir ihn, wenn wir daran vorüberfahren. Die Autofahrt über diese Brücke offenbart Land-schaften, die an Luftaufnahmen gemahnen oder an episches Kino erinnern. Die Landschaftt befindet sich immer in der Ferne und die Brücke scheint alle wichtigen Destinationen zu vermeiden, zu welchen sie uns führen sollte. Pigeon Key bietet den idealen Standort, von dem aus Ansichten der Super-Moderne gemalt werden können. Was wir sehen ist eine Kombination der Effekte von Bewegung und Entfernung (der Horizont), mit jenen des Heterokosmos. Fakten werden durch realisierte Träume verdrängt.
 
Henry Morrison Flagler (1830-1913), Eisenbahnmagnat und Partner in Rockefellers Standard Oil Company war der Gründer der Stadt Miami. Er erbaute die Seven Mile Bridge im Jahre 1906. Sie sollte Key West, damals Miami's grösste Stadt und Hafen, mit dem übrigen Land verbinden und diente als Zulieferstrasse für US-Projekte in Kuba und Zentral-Amerika. Wichtigstes Ziel war der Panama Kanal. Die Brücke ist ein Symbol für Unternehmer-Kapitalismus in Reinkultur. Eine anfällige Kette von kleinen Inseln wurde durch dieses Bauwerk verbunden und diente fortan dem Transport und dem Kommerz. Erst ein halbes Jahrhundert später wurden diese Inseln zum Inbegriff eines Paradieses für Freizeit, Fischfang und Sonnenbad. Erstaunlicherweise wurden die Palmen importiert und in den fünfziger Jahren erstmals angepflanzt. Vorher waren Mäuse die einzigen Inselbewohner und die Vegetation bestand aus dürre-resistenten
Sträuchern und Büschen. Pigeon Key und die Seven Mile Bridge sind extreme Beispiele einer Überfülle von Raum, einer steten Veränderung von Massstab und Parametern. Paradox ist, dass eben hier Vorstellungen einer umfassenden Einheit von Raum und Welt aufkommen und das Sichtbare sowohl eingebildet wie auch wirklich zu sein scheint. Absurd ist der Kontrast zwischen den rasenden Transport-vehikeln, der Schnelligkeit der Kommunikation und dem dumpfen und ewigen Dasein des Wassers und des Bodens.
 
Utopien können sowohl horizontal wie vertikal sein. Horizontale Paradiese beinhalten einerseits Bewegung, andererseits eine Art von Erforschung. Ponce de Leon suchte während dreissig Jahren in den Sümpfen von Florida nach der Quelle der Jugend. Der Ozean, der Pigeon Key umflutet, bildet eine Barriere, die solcherlei Nachforschungen erleichtert. Die lange, mühsame Reise durch diese Wasser (die heute weniger aufwändig ist, dank der Seven Mile Bridge) verleiht dem Paradies eine besondere Bedeutung: es ist dies der Prozess, dieses zu finden. Das Paradies ist gleichsam eine ständige Bewegung. Pigeon Key ist ein verlorenes Paradies, eine Schutthalde, auf der Überreste von halbfertigen Produktions-stätten, importierte Vegetation und Phantasien herrschaftlicher Wohnsitze aufgetürmt sind (neuerdings noch zusätzlich Telekommunikationstürme). Die Ausbeutung des Paradieses erzeugt das fortwährende Bedürfnis, dieses immer wieder neu zu finden. Die Bilder und Zeichnungen in dieser Ausstellung sind ein visualisiertes Dokument eines solchen Unterfangens, ein Versuch, unsere Aufmerksamkeit zu verschieben, weg von einer ausgebeuteten Welt, hin zu visueller Euphorie. Dann aber finden die Werke zurück zu sich selbst. Sie werden zu ihrem eigenen Gegenstand und scheinen sich aufzulösen in einer verschwommenen Vielfalt von Klischees und Ähnlichkeiten. Sie sind Darstellungen von Nicht-Orten (rechts die Brücke, links das Flugzeug), sie wollen aber auch einen Zustand von Paramodernität aufzeigen, eine verpfuschte Moderne, wo Raum zusammenschrumpft und Objekte in der Landschaft in keinerlei Synthese eingebunden sind. Die Erscheinungen und Gegenstände haben kein Gedächtnis. Sie sind lediglich Anhaltspunkte während einer Reise.
 
Glen Rubsamen