Galeriebrief 5/2006

3. November 2006 bis 20. Januar 2007

RITA McBRIDE, HEX.PRO.JIG
Seit 1999 gibt es die enge und ungewöhnliche Verbindung der Künstlerin Rita McBride mit den Galerien Mai 36 und Annemarie Verna. Die intensive Zusammenarbeit, die durch eine erste Präsentation in beiden Galerien und vier alternierende Einzelausstellungen belegt ist, zeigt sich als ein langfristiges Projekt, das der Vielschichtigkeit des Werkes, dem ungewöhnlichen Reichtum an Anspielungen und Verweisen gerecht werden will. Die Arbeit von Rita McBride entfaltet sich produktiv durch viele irritierende Deutungen und Lesbarkeiten. Zwei Galerien in Zürich mit verschiedenen architektonischen Gegebenheiten und einer jeweils ganz anderen Geschichte vermag die Künstlerin voll auszureizen. Denn nicht zuletzt interessiert sie auch die Galerie, der Kunstbetrieb, als Ort, als Institution und als Metapher. Dass sich die Galerien dann auch einiges gefallen lassen müssen liegt auf der Hand. Rita McBride unterwirft sich nicht stillschweigenden Erwartungen oder expliziten Voraussetzungen eines routinierten Kunstverwertungsapparates. Zudem sind ihre Installationen oftmals ein substantieller Eingriff und Angriff in und auf die Integrität der Galerieräumlichkeiten.

Diese multiplen Ebenen sind für alle Beteiligten, und damit sind auch die Rezipienten dieser Kunst gemeint, von besonderem Interesse. Unweigerlich werden die involvierten Personen auf ihre ästhetischen Ueberzeugungen, Wertmassstäbe und diesbezüglichen Entscheidungen aufmerksam gemacht und was als kritische und widerständige Leitlinie festgeschrieben scheint kippt plötzlich um in pure Affirmation.

Paul Valéry hat das 'objet ambigue' in die ästhetische und philosophische Diskussion eingeführt. Verwandt damit ist der ästhetische Gegenstand, den Rita McBride in virtuoser Weise im Kontext der Gegenwartskunst und Szene aktualisiert und zur Anwendung bringt. Dass sie ihr Verfahren der Verfremdung, Umsetzung, Hypostasierung trivialer und kanonisierter Formbestände der Moderne umstandslos preisgibt gehört zum Spiel. Demgegenüber sind die Verunsicherung, Ueberraschung und das Erstaunen, ausgelöst durch die faktische Konstellation der Werke, immer wieder neu und brisant.

«Ein Kunstwerk sollte uns immer darauf hinweisen, dass wir noch nicht gesehen haben, was wir sehen.» Dieses Ansinnen, ebenfalls von Paul Valéry formuliert, erfüllen die Werke von Rita McBride mit pointierter Widersprüchlichkeit und wenn der Dichter schreibt «Es genügt hinzusehen, um zu begreifen.», so paaren sich bei ihr Klarheit und Unschärfe. Die abgründige Differenz zwischen Faktum und Begriff, zwischen den Selbstverständlichkeiten, die uns alle möglichen Bedeutungszusammenhänge unmissverständlich signalisieren und der diffusen Offenheit, die eintritt, wenn uns diese Verlässlichkeit versagt wird, eröffnen eine Potentialität visueller Erkenntnis, die jeden Regelverstoss gegen einen inzwischen inexistenten Kanon bei weitem überbietet.

Form und Material der Skulpturen oszillieren zwischen Abbildung, Zitat und Surrogat. Die selbstständige Mehrdeutigkeit und Gültigkeit der Objekte emanzipieren sich vom vorgeschriebenen Referenzzusammenhang. Dort wo die Vorlage Funktionalität repräsentiert, wird diese im gegebenen Fall in ihr Gegenteil verkehrt. Dort wo sich die Objekte Präsentationsmuster und Werkformen modernistischer Kunst aneignen, verweigert der narrative Vorwurf diesem Anspruch seine Legitimität.

Die Galerie Mai 36 zeigt an der Rämistrasse 35, 3.Stock eine Auswahl weiterer Werke von Rita McBride.